Klappentext
Bei einem gewagten Flugmanöver erschreckt der junge Robert Montgomery 1970 eine Frau auf den Klippen von Connemara dermaßen, dass diese über die Felsen stürzt. Doch die Zeitungen der
darauffolgenden Tage bringen keine Meldung über eine verunglückte Frau. Wie ist das möglich?
45 Jahre später und todkrank, lässt Robert die Erinnerung an seine damalige unüberlegte Handlung keine Ruhe. Er beauftragt Johns Anwaltskanzlei, „die Frau auf den Klippen“ ausfindig zu machen.
Also reist Albert Summers, Johns Anwaltskollege, nach Irland.
Kurz darauf ist Albert jedoch spurlos verschwunden. Was ist mit ihm passiert? Kam er jemandem mit seinen Recherchen vielleicht zu nahe?
Voller Sorge macht sich John auf, um seinen Freund zu finden und deckt dabei eine Geschichte aus der Vergangenheit auf, die manche lieber vergessen würden.
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PROLOG
Irische Küste, in der Nähe von Clifden, September 1970
„Das ist die Sky Road. Folge ihr bis zur Küste, danach drehen wir um.“
Robbie Montgomery nickte, zog die Schnauze der vierplätzigen Cessna 182 sanft hoch, flog eine leichte Linkskurve und orientierte sich an dem schmalen grauen Band unter ihnen.
Die anfängliche Nervosität hatte sich gelegt, sein schweißgetränktes Unterhemd trocknete langsam wieder und er begann, sich ein wenig zu entspannen. Er hatte noch nicht viele Flugstunden hinter sich, besser gesagt nur zehn, und dürfte eigentlich gar nicht selbst fliegen. Und als sein Cousin Ernest ihm heute Morgen vorgeschlagen hatte, einen Flug entlang der irischen Westküste zu unternehmen, hatte er nicht im Traum daran gedacht, dass er zum Piloten avancieren würde. Doch sein Verwandter hielt nichts von Regeln. Er hatte ihn quasi dazu genötigt, schließlich läge das Fliegen den Montgomerys im Blut und ohne Routine würde er, Robbie, nie ein ordentliches Fliegerass werden.
Der irische September zeigte sich von seiner besten Seite: mild und trocken. Ganz anders als das regnerische London, das er unter dicken Wolken zurückgelassen hatte, als er seine Heimat vor zwei Wochen in Richtung Connemara verließ.
Ernests Einladung, ihn in Galway zu besuchen, war zur rechten Zeit gekommen. Noch immer hustete sich Robbie die Seele aus dem Leib. Eine schwere Lungenentzündung hatte ihn im Frühling erwischt und er hoffte, sich in Irland endlich davon zu erholen.
Sein Cousin war ein geschätztes Mitglied der hiesigen Gesellschaft, bot seine Plastikfirma den Einheimischen doch eine erkleckliche Anzahl Arbeitsplätze, trotzdem galt er als das schwarze Schaf der Familie Montgomery. Er sei ein Abenteurer, sagte Robbies Vater bei jeder Gelegenheit und er solle sich auf keinen Fall von dessen ungestümen Wesen anstecken lassen. Das würde nur böse enden. Doch Robbie bewunderte seinen Cousin seit Kindertagen. Der ehemalige Offizier der englischen Luftwaffe erschien ihm immer wie ein Held aus einem seiner Jugendbücher.
Robbie hatte die größte Zeit seiner Kindheit im Bett verbracht und Heldengeschichten regelrecht verschlungen. Was hätte er auch sonst tun sollen? Er war zum Leidwesen seines Vaters nicht so robust wie die sonstigen Zweige des Montgomeryclans, schon immer ein wenig kränklich und daher der Liebling seiner Mutter gewesen. Er hatte zwar noch zwei ältere Schwestern, aber die waren schon verheiratet und lebten in Exeter und Liverpool.
Er war ein Nachzügler, einen Beruf hatte er infolge seiner angeschlagenen Gesundheit nicht erlernt, auch sonst wusste er mit seinem Leben nichts Rechtes anzufangen, daher hatte sein Vater eines Tages ein Machtwort gesprochen. Er könne sich nicht auf das Vermögen seiner Familie verlassen, hatte er verkündet und Robert werde daher im Oktober eine Anstellung bei einer Londoner Bank antreten. Ein ehemaliger Studienkollege sei ihm noch einen Gefallen schuldig. Und hinter den dicken Mauern der Bank, so sein Vater, würde Robert hoffentlich an keinem weiteren Zipperlein erkranken, schließlich gehe es nur um Zahlen. Der Sarkasmus, den er in diese Aussage gelegt hatte, bereitete ihm Kopfzerbrechen. War er in den Augen seines Erzeugers etwa ein Schwächling? Ein Simulant oder gar ein Feigling?
Strahlender Sonnenschein lag über der Küste und ließ das Wasser des Atlantiks wie Juwelen glitzern. Robbie verscheuchte die dunklen Gedanken und rückte seine getönte Sonnenbrille zurecht. Es blieben ihm noch drei Wochen in Irland, bevor der Ernst des Lebens, wie es sein Vater auszudrücken pflegte, begann, und die wollte er sich nicht verderben lassen.
„Schau mal, die Schafe dort“, sagte Ernest plötzlich und wies mit der Hand auf eine Gruppe Tiere, die nahe einer Klippe zufrieden im Gras lagen. Von oben sahen sie wie weiße Punkte aus. „Die werden wir mal ein bisschen aufmischen, einverstanden?“
Robbie wandte den Kopf und sah seinen Cousin verständnislos an. Was meinte er damit? Doch in der Sekunde langte dieser nach dem Steuerknüppel auf seiner Seite und drückte ihn nach vorn. Die Cessna setzte zum Sturzflug an und Robbie japste erschrocken nach Luft.
„Keine Angst“, sagte Ernest grinsend, „die Weide ist eingezäunt und mein Baby hält das problemlos aus.“ Bei den Worten klopfte er zärtlich auf das Instrumentenbrett der Cessna, ohne den Steuerknüppel loszulassen.
„Lass den Blödsinn!“, rief Robbie panisch und drückte das Mikrofon, mit dem sie sich während des Fluges unterhalten konnten, näher vor seinen Mund. Binnen Sekunden war er erneut in Schweiß gebadet, seine Hände, die verzweifelt versuchten, das Ruder wieder hochzuziehen, eiskalt.
„Sei kein Feigling, Cousin“, schnarrte es in Robbies Ohren und er spürte Ernests Ellbogen in seinen Rippen.
Die Cessna stürzte immer weiter auf die Klippe zu. In Robbies Ohren begann es zu rauschen. Die Weide schien ihm nur noch wenige Meter entfernt. Sie würden zerschellen. Ihre Körper in einem Feuerball verbrennen.
Er konnte kaum atmen und ihm wurde beinahe schwarz vor Augen. Durch die Frontscheibe sah er, wie die Schafe erschreckt auseinanderstoben. Neben sich hörte er Ernest kichern. Dann, im letzten Moment, als Robbie bereits sein Leben in Gottes Hände gelegt hatte, zog sein Cousin am Ruder und die Cessna schnellte in einem steilen Winkel nach oben in den blauen Himmel.
Robbie war speiübel und er wandte den Kopf, damit Ernest nicht sah, wie sehr er sich bei dem Manöver gefürchtet hatte. Im Augenwinkel bemerkte er etwas Rotes, Flatterndes. Er drückte seine Stirn an die kühle Fensterscheibe.
Hinter der Klippe, dort, wo die Weide jäh zum Atlantik hin abbrach, als hätte ein riesiges Messer sie abgeschnitten, sah er eine Gestalt. Es musste eine Frau sein, denn um ihren Kopf wehte dunkles, langes Haar. Die Cessna war schon zu hoch, als dass er ihr Gesicht hätte erkennen können. Er sah nur, wie sie mit den Armen ruderte, das Flattern eines roten Mantels oder Capes und dann, wie sie rücklings über die Klippe stürzte.
1
Heute
„Hören Sie, Albert ist ein smartes Kerlchen, ihm wird schon nichts passiert sein.“
Harold Hobbs, Seniorpartner der Anwaltskanzlei McDermott & Hobbs, bei der John Achilles Fortune seit zwei Jahren arbeitete, erhob sich aus seinem Sessel und trat zu einer antiken Kommode, die hinter seinem Schreibtisch stand. Darauf befanden sich eine geschliffene Karaffe und passende Whiskygläser.
„Auch einen?“ Er schaute ihn auffordernd an, doch John schüttelte den Kopf.
Es war Mittwochmorgen, halb elf Uhr und er hatte in dieser Nacht kaum geschlafen. Der beunruhigende Telefonanruf, den er gestern bei seiner Ankunft in London von Albert Summers, seinem Arbeitskollegen, erhalten hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. ‚John, dem Himmel sei Dank! Mein Akku ist gleich leer. Du musst mir helfen. Ich …‘
Albert war, soweit John wusste, auf einer Recherchereise in Irland. Sie beide arbeiteten in derselben Abteilung, die sich auf ‚einsam Gestorbene‘ spezialisiert hatte. Wenn jemand verstarb und es gab weder ein Testament noch einen direkten Erben, versuchten sie, Nachkommen der Dahingeschiedenen ausfindig zu machen, um ihnen das Erbe zu überbringen. Dazu wurde ihnen vom Londoner Nachlassgericht ein Mandat von vier Monaten erteilt. Trieben sie in dieser Frist keine Erben auf, blieb das Vermögen zwar noch zwölf Jahre auf Abruf bestehen, fiel danach aber vollumfänglich der Krone zu. Ihre Firma arbeitete zu einem festen Prozentsatz, bekam jedoch, wenn sie Nachfahren ausfindig machen konnten, eine anteilige Vergütung des Nachlasses.
„Bei allem Respekt, Mister Hobbs, aber Sie würden nicht so urteilen, wenn Sie Alberts Anruf mitgehört hätten. Ich kenne ihn schon eine Weile und bis jetzt hat er nie so geklungen. Ich weiß, wie er arbeitet, wie klug und charmant er sein kann, aber da ist etwas faul, glauben Sie mir.“
Hobbs schenkte sich einen Fingerbreit Whisky ein und betrachtete nachdenklich die goldene Flüssigkeit. Dann stürzte er sie in einem Schluck hinunter.
„Seit wann hat er sich nicht mehr gemeldet?“
„Die letzte Nachricht von ihm war das Telefongespräch, das ich mit ihm gestern um halb fünf Uhr nachmittags auf dem King’s Cross Bahnhof geführt habe. Alle weiteren Anrufe meinerseits blieben unbeantwortet, ebenso die Kurzmitteilungen und E-Mails.“
Hobbs nickte zerstreut. „Wissen Sie, wo er sich zu der Zeit aufgehalten hat?“
John zog sein schwarzes Notizbuch hervor und blätterte darin.
„Ich habe einen Blick in seinen aktuellen Fall geworfen. Seinen Aufzeichnungen nach muss er in Connemara sein. Die letzte Fallaktualisierung erhielt die Kanzlei vor zwei Tagen. Damals befand er sich anscheinend auf einer heißen Spur in einem Ort namens Clifden.“
„Verstehe. Und Sie sind sich sicher, dass er in Gefahr ist?“
„Ja, Sir, das bin ich.“
Hobbs atmete tief durch.
John wusste, dass sein Vorgesetzter und Alberts Vater, ein Earl, Golfpartner waren. Würde dessen Sohn etwas zustoßen, könnte das für den Seniorpartner wie auch für die Kanzlei unangenehme Folgen haben.
„Nun gut. Treffen Sie alle Vorkehrungen, nach Irland zu fahren. Sobald Sie Albert gefunden haben, waschen Sie dem Bengel gehörig den Kopf. Wir haben schließlich noch anderes zu tun, als verlorenen Söhnen hinterherzujagen.“
John nickte erleichtert und stand auf, verstaute das Notizbuch in seiner Sakkotasche und ging zur Tür. Bevor er das Büro des Seniorpartners jedoch verlassen konnte, hielt ihn dessen Stimme zurück.
„John?“ Er drehte sich um. „Gute Arbeit in Schottland. Meine Assistentin war ganz entzückt von Ihrer Zusammenarbeit. Weiter so, wir sind stolz auf Sie.“
Johns Handy klingelte, während er eiligen Schrittes die Kanzlei an der Pilgrim Street verließ. Als er auf das Display blickte, verzog er den Mund.
„Hallo Mutter, wie geht es dir?“
Victorine Fortunes Stimme war der Ärger anzumerken und er zog automatisch den Kopf ein. Er wusste, dass er sie die vergangenen Tage sträflich vernachlässigt hatte. Seit dem Tod seines Vaters vor einigen Jahren klammerte sie sich wie ein Äffchen an ihr einziges Kind. Obwohl er sie auf der einen Seite verstehen konnte, war ihm dieses Verhalten unangenehm. Er war schließlich schon dreißig. Sie musste endlich einsehen, dass er ihrer Obhut entwachsen war.
„Ja, Mutter, du hast natürlich recht. Es tut mir leid, aber ich bin erst seit gestern wieder in der Stadt und muss heute …“
Ein stetes Nieseln hatte eingesetzt. John schlüpfte in seinen Regenmantel, schlug beim Gehen den Kragen hoch und stellte sich unter das Vordach einer Bäckerei, aus der es verführerisch nach frischem Brot roch.
„Ja, das heißt nein, ich bin untröstlich, das Dinner mit deiner Schulfreundin und deren Tochter heute zu verpassen, aber ich muss geschäftlich nach Irland.“
Victorine Fortune hatte ein einziges Hobby, das daraus bestand, ihrem Sohn eine passende Ehefrau zu besorgen. Leider waren ihr Geschmack und seiner in der Richtung nicht kompatibel. Und die meiste Zeit versuchte er daher, sich den Zugriffen unverheirateter Töchter und deren Schwiegermütter in spe zu entziehen.
„Natürlich, Mutter, nächste Woche. Einverstanden. Du hast mein Wort.“
Mit einem Seufzen verstaute er sein Handy in der Sakkotasche – noch einmal davongekommen. Aber er war nicht so dumm zu denken, dass Victorine ihr Vorhaben ihn unter die Haube zu bringen, so schnell aufgab.
Verrückt, wenn er bedachte, dass er im Grunde gern in einer Beziehung leben würde. Er sehnte sich insgeheim nach einer Partnerin, nach Liebe und auch nach Sex. Doch mit Frauen hatte er kein Glück. Er verliebte sich ständig in die Falschen oder in solche, die den Richtigen schon gefunden hatten. Wie in Samantha Bucknell, der Assistentin von Harold Hobbs, die angeblich so entzückt von ihrer gemeinsamen Recherchereise in Schottland gewesen war.
John presste die Lippen aufeinander. In der Tat war die Zusammenarbeit entzückend gewesen, vor allem die Nacht in Edinburgh. Ob Samantha ihrem Chef auch davon erzählt hatte?
Plötzlich wallte Ärger in ihm auf. Sie hatte es sich leicht gemacht und gleich nach ihrer gestrigen Ankunft zwei Wochen Urlaub genommen. Fein, wenn man es sich leisten konnte, für vierzehn Tage in die Sonne zu fliegen. Ob ihr Freund sie wohl begleitete? Natürlich, wieso auch nicht, schließlich waren die beiden ein Paar und er bloß ein Abenteuer gewesen.
Unvermittelt verwandelte sich der Duft von frischen Backwaren in etwas Fauliges und er verließ, trotz des Regens, eilig den Unterstand. Er hatte jetzt andere Sorgen, nämlich wie zum Henker er trotz seiner Flugangst auf dem schnellsten Weg nach Irland kommen sollte.
2
„Wo ist er?“
Kayley Donovan warf ihr langes dunkles Haar zurück und baute sich kämpferisch vor ihrem Bruder auf.
Die Geschwister konnten unterschiedlicher nicht sein. Kayley war nur einen Meter sechzig groß, dunkel und grazil, ihr älterer Bruder Liam hingegen ein Hüne, rothaarig und kräftig gebaut. Lediglich die blaugrünen Augen hatten sie gemeinsam, wie auch das aufbrausende Wesen, wobei sie dies lieber als das Donovan-Temperament bezeichnete.
„Ich habe keine Ahnung, von wem du sprichst, Schwesterherz“, erwiderte Liam mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln auf den Lippen, das ihr jedoch nicht entging. „Wenn ich du wäre, würde ich mich lieber um die ankommenden Gäste kümmern.“
Sie fixierte ihren Bruder noch eine Weile aus schmalen Augen, drehte sich dann abrupt um und stampfte davon.
„Sturer Kerl, ich könnte ihm den Hals umdrehen!“, zischte sie halblaut vor sich hin, während sie hinter den Empfangstresen des Hotels trat und die Reservierungen durchging.
Seit ihre Mutter vor fünf Jahren an Krebs gestorben war, führte sie mit ihrem Bruder zusammen das Connemara Castle Hotel auf der Halbinsel Ardagh nicht weit von Clifden entfernt.
Obwohl das Hotel den pompösen Namen Castle trug, war es alles andere als ein Schloss. Von außen sah es mit seinen Türmen, den hohen Fenstern und den mit Efeu und Rosenranken bewachsenen Mauern zwar durchaus wie eins aus, doch wenn man näher hinschaute, begann der Prunk im wahrsten Sinne des Wortes zu bröckeln. Die feuchte Luft, Regen, Wind und Witterung und vor allem das Alter setzten dem Gemäuer, den Teppichen und Möbeln und letztendlich auch den Menschen, die darin wohnten, seit Jahrhunderten zu. Und wenn nicht bald ein Wunder geschah, würden sie das Hotel verkaufen müssen. Ihr Zuhause, in dem Kayley dreiundzwanzig, ihr Bruder Liam fünfundzwanzig und ihr Vater schon sechzig Jahre lebten. Ganz zu schweigen von den Generationen verstorbener Donovans und deren Geister, die das Schloss seit seinem Bau im Jahr 1746 bewohnten.
Kayley seufzte und verglich die Daten der Online-Reservierungen mit den Zimmern, die noch geputzt werden mussten.
Seit Mutters frühem Tod war ihr Vater ein gebrochener Mann. Nolan Donovan war einige Jahre älter als Neve Gallagher gewesen, als sie sich ineinander verliebt hatten und sie mit Liam schwanger wurde. Sie war damals erst neunzehn Jahre alt.
Eine stürmische Liebe, wie sie Kayley einmal schmunzelnd erzählt hatte, was diese kaum glauben konnte. Ihr Vater sah alles andere als wie ein feuriger Liebhaber aus. Sein bevorzugtes Kleidungsstück war eine unförmige Strickjacke mit Lederflicken an den Ellbogen. Er trug eine Brille mit Horngestell, hatte schütteres rotes Haar und ein Faible für Cordhosen. In ihren Augen wahrlich nicht der Inbegriff eines Casanovas. Doch bekanntlich fiel die Liebe überallhin.
Ihre Eltern führten nach der Hochzeit gemeinsam das Hotel, das zu der Zeit noch mehr abwarf, doch seit an der Sky Road ein moderner Kasten mit zig Betten, Wellness-Bereich und Indoorpool eröffnet worden war, liefen ihnen die Gäste davon. Letzthin hatte Kayley sogar einen ihrer Stammgäste, der jedes Jahr den Sommer in Connemara bei ihnen verbracht hatte, in Clifden gesehen, wie er in den Shuttle-Bus des neuen Hotels gestiegen war. Er hatte sie bemerkt und verschämt weggesehen.
Liam und sie versuchten zwar mit allen Mitteln, Gäste anzulocken. Sie hatten in allen Zimmern Internet installiert; priesen Aktionstage während des Connemara Golf-Championship-Turniers an und boten Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Gegend, doch gegen Klimaanlage, Vier-Sterne-Küche und Spawochen kamen sie einfach nicht an. Ihr Hotel war zwar weitaus authentischer als der neue Betonkasten, musste jedoch dringend renoviert werden.
„Hallo, mein Kätzchen.“
Sie schreckte auf. Vor ihr stand ihr Vater in einer grünen Gärtnerschürze. In seinem Haar klebte ein Rosenblatt und automatisch streckte sie die Hand aus, um es zu entfernen. Der Garten war das Einzige, worum sich Nolan Donovan noch kümmerte und sein größter Stolz.
„Hi, Daddy, blüht deine neue Rosenzüchtung schon?“
Ihr Vater schmunzelte. „Kann nicht mehr lange dauern“, meinte er und ging Richtung Küche davon.
Kayley sah ihm betrübt hinterher und schüttelte den Kopf. Wie sollte es nur mit ihnen weitergehen?
Sie zog ihr Handy aus der Gesäßtasche. Nichts. Der Anblick des leeren Displays, das weder einen Anruf noch eine Kurzmitteilung anzeigte, verursachte ihr einen Stich.
Wieso meldete sich Albert nicht? Seit gestern hatte sie ihn nicht mehr gesehen, obwohl sie heute zu den Klippen von Moher fahren wollten. Es schien, als hätte ihn der Erdboden verschluckt und sie vermutete, dass Liam etwas darüber wusste. Er hatte seine Antipathie gegenüber dem Engländer deutlich gezeigt, als dieser vor vier Tagen bei ihnen eingezogen war. Im Gegensatz zu Liam hatte sie sich jedoch sofort zu dem groß gewachsenen, äußerst charmanten und gut aussehenden Mann hingezogen gefühlt.
Albert Summers hatte ein ansteckendes Lachen, ihr Komplimente gemacht und sich wie ein tadelloser Gentleman benommen. Drei Dinge, die recht selten im Connemara Castle Hotel waren. Also wieso sich nicht ein bisschen Spaß mit einem Touristen gönnen? Für eine junge Frau gab es in ihrer Gegend nicht viele Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Und Albert würde schließlich, wie alle Gäste, irgendwann wieder abreisen, also blieben langwierige Probleme von vornherein ausgeschlossen, die sich oftmals mit den einheimischen Männern ergaben.
„Ein Mädchen muss sich seine Tugend bewahren“, hörte sie die Stimme ihrer verstorbenen Großmutter Oonagh im Geiste. Sie hätte ein Techtelmechtel zwischen ihrer Enkelin und einem Gast nicht gutgeheißen.
Eigentlich hatte sie nie etwas gutgeheißen. Sei es Musik, Tanz oder die neueste Mode. Als Spaßbremse hatte ihr Vater seine Schwiegermutter einmal bezeichnet. Diese war in ihrer Jugend, wie es in der Gegend hieß, eine patente Frau gewesen. Ein Synonym dafür, dass sie nicht besonders hübsch war. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester Mairin, Kayleys Großtante. Noch heute sprachen die Einheimischen von den ungleichen Schwestern Murphy. Eine rot, eine schwarz, wie Tag und Nacht. Seltsamerweise blieb die Schöne jedoch unverheiratet. Kayley fragte sich oftmals, weshalb. Vielleicht war ihrer Großtante keiner gut genug gewesen.
Sie mochte Mairin sehr. Die einundsechzigjährige Frau lebte allein in einem zugigen Cottage auf den Klippen. Sie baute Gemüse an, das sie ihnen und auf dem Markt verkaufte und liebte, wie sie immer beteuerte, ihre Unabhängigkeit über alles. Sie lachte viel, interessierte sich für Gott und die Welt und war eine tolle Geschichtenerzählerin. Doch manchmal trat ein weher Zug in ihr Gesicht. Meist, wenn sie mit ihr einen Spaziergang entlang der Klippen unternahm. Dann blieb Mairin mitunter plötzlich stehen, schaute über das Meer, als würde sie auf etwas warten, das hinter dem Horizont lag, und war nicht ansprechbar. Zuweilen summte sie dabei auch ein Lied, das Kayley nicht kannte. Wenn sie ihre Großtante aber danach fragte, meinte diese, sie habe sich getäuscht, das sei nur der Wind, der sich in den Klippen verfing.
Kayley war immer sehr stolz darauf gewesen, dass sie mehr nach der „schwarzen Murphy“ kam und froh darüber, nicht der roten zu gleichen. Diesen Part überließ sie gern ihrem Bruder, mit dem sich Oonagh sowieso immer besser verstanden hatte als mit ihr.
Als kleines Mädchen hatte sie sich immer vorgestellt, dass die fröhliche Mairin ihre Großmutter sei und nicht die griesgrämige Oonagh. Als diese dann starb, hatte sie sich deshalb jahrelang Vorwürfe gemacht. Als ob ihr kindlicher Wunsch das Lebenslicht ihrer tatsächlichen Oma zum Erlöschen gebracht hatte.
Das Schlagen eines losen Fensterladens riss sie aus ihren Erinnerungen. Sie schüttelte den Kopf, straffte die Schultern und lief dann die Treppe hinauf. Keine Zeit mehr zum Träumen, es mussten zwei Zimmer vorbereitet werden.
Liebe Leserinnen und Leser
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen 1. Advent im Kreis Ihrer Lieben.
Herzlichst
Margot S. Baumann
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Schon immer eine Frau der schnellen Entschlüsse, bewirbt sich Saskia auf die ausgeschriebene Stelle und ein paar Wochen später steht sie am Bahnhof von Beaumes-de-Venise und wartet auf Jean-Luc Rougeon, ihren zukünftigen Arbeitgeber.
Der attraktive Gutsbesitzer schüchtert die sonst so selbstbewusste Saskia auf den ersten Blick ziemlich ein. Auch bei anderen Menschen im Dorf löst ihr Erscheinen merkwürdige Reaktionen aus.
Doch sie wäre nicht Saskia, wenn sie dieses Rätsel nicht ergründen könnte.
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Spontan begleitet sie Ethan auf die wildromantische Kanalinsel Jersey, von der er stammt – und wo sich der Nebel, der den geheimnisvollen Fall umgibt, unverhofft lichtet.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß in England!
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